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15.12.2017

Kalte Progression

Der Schrecken des Mittelstands?

Zuletzt war sie im Bundestagswahlkampf 2017 Thema, dümpelt aber schon länger durch die Presse der Republik: die kalte Progression. Sie wird als das Schreckgespenst des Mittelstandes dargestellt, jeder ist dagegen, aber was genau ist das eigentlich, und gibt es auch warme Progression?

Sprachliche Annäherung

„Kalt“​ soll in diesem Zusammenhang wohl nicht das Gegenteil von „​warm“​ bedeuten, sondern ist eher bildlich wie „durch die kalte Küche“​ zu verstehen.

​„Progression“​ bedeutet laut Duden „​[stufenweise] Steigerung“​ oder „​Zunahme des Steuersatzes bei wachsender Bemessungsgrundlage“​.

Dies trifft es ziemlich genau, denn:

Der Steuertarif in Deutschland (vereinfacht):

Der deutsche Steuertarif ist so aufgebaut, dass es einen Sockelbetrag gibt, auf den gar keine Steuer anfällt (sogenannter Grundfreibetrag). Dieser beträgt im Jahr 2017 8.820 Euro für Ledige.

An den Grundfreibetrag schließt sich die Progressionszone mit steigenden Steuersätzen an. Dies bedeutet, dass auf den 8.821ten Euro 14% Einkommensteuer zu zahlen ist, aber nicht auf die 8.820 Euro davor, diese bleiben immer steuerfrei. Der Steuersatz auf den letzten versteuerten Euro heißt Grenzsteuersatz, im Gegensatz zum Durchschnittssteuersatz,​ also der Steuer in das Verhältnis zum Gesamten zu versteuernden Einkommen. Der Durchschnittssteuersatz bei 8.821 Euro (zu zahlende Steuer geteilt durch 8.821) ist dagegen mit 0,0016% zu vernachlässigen.

Auf jeden weiteren verdienten Euro fällt so etwas mehr Einkommensteuer an, bis das Ende der Progressionszone bei 54.058 Euro erreicht wird. (Bereits) ab hier fällt für jeden mehr verdienten Euro der „Spitzensteuersatz“ von 42% an. Der Durchschnittssteuersatz beträgt aber in diesem Moment nur 26,32%.

Grafisch aufbereitet sieht das so aus (rot ist der Grenzsteuersatz, blau ist der Durchschnittssteuersatz):

Steuertarif-Grafik

Aber wie funktioniert ​nun kalte Progression ​genau?

Als Beispiel nehmen wir einen ledigen Deutschen, der 40.000 Euro zu versteuern hat. Nach der Steuertabelle zahlt dieser im Jahr 2017 8.766 Euro Einkommensteuer.

Unterstellt wird eine Inflation von 5%, die durch den Arbeitgeber über eine Lohnerhöhung von 5% ausgeglichen wird. Im nächsten Jahr verdient der Arbeitnehmer also 42.000 Euro (hat aber wegen der Inflation nicht wirklich mehr Geld zur Verfügung).

Da auf jeden mehr verdienen Euro in der Steuersatz steigt, beträgt die Einkommensteuer nun 9.489 Euro, dies sind 723 Euro oder 8,24% mehr als im Vorjahr. Die 3,24%-Punkte Differenz zu den 5% sind die kalte Progression, d.h. der Staat verdient an Lohnerhöhungen unangemessen mit. Nach dem alten Durchschnittssteuersatz auf die 40.000 Euro Verdienst ​wären nur 9.205 Euro Steuer angefallen. Der Staat hat also über die (kalte) Steuersatzprogression 284 Euro mehr Steuer kassiert.

Und nun?

Das ganze Thema ist wirklich nicht neu, es ist Bestandteil des Steuertarifes seit 1958 (weiter zurück habe ich nicht geschaut) und wird wahrscheinlich genauso lange diskutiert. Bereits der 5. Deutsche Bundestag wurde im November 1967 davon unterrichtet (BT-Drucksache V/2310).

(Nicht wirklich) erstaunlich ist, dass der Bundesfinanzminister, der es nun wirklich in der Hand hatte, dies zu ändern, die kalte Progression im Wahlkampf für sich entdeckt hatte.

Es gab sogar einmal ein „Gesetz zum Abbau der kalten Progression“ vom 20.02.2013 (unterzeichnet vom Bundesfinanzminister Schäuble). Auch hier wurde der Steuertarif angepasst, und das Ganze als Steuerentlastung dargestellt. Dies passiert regelmäßig, aber nicht automatisch, d.h. es gibt immer wieder Jahre mit „kalter Progression“. In den Jahren 2017 und 2018 wurden die Steuertarife auch angepasst und „nach rechts verschoben“,​ um die kalte Progression auszugleichen,​ aber wieder nur für diese beiden Jahre.

Lösung wäre zum Beispiel, einen Inflationsfaktor in den Steuertarif einzusetzen, der die kalte Progression automatisch auffängt.

Andererseits müssen die Staatsausgaben gedeckt werden, und wenn nicht über die Einkommensteuer, werden die Einnahmen anderweitig generiert. Es ist also im Ergebnis ein Verteilungsspiel. Eine „automatische“ jährliche Mehrsteuer ist praktischer, als die Einführung von unpopulären offenen Steuererhöhungen.

Außerdem kann man alle paar Jahre den Grundfreibetrag erhöhen und so von „Steuerreform“ oder „Steuerentlastung“ sprechen.

Was bleibt noch?

Eine warme Progression gibt es übrigens nicht, den Begriff habe ich in der Literatur nicht gefunden. Heiße auch nicht.

Was habe ich vernachlässigt:

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